Die hussitische Reformation
Die revolutionäre Reformationsbewegung, die sich für eine umfangreiche Erneuerung der Kirche einsetzte, entstammte der Lehre des Magisters Johannes Hus und hatte einen weitreichenden Einfluss im gesamteuropäischen Kontext, insbesondere in Mitteleuropa.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts kamen mehrere Krisenmomente zusammen, die den Nährboden für eine Revolution bildeten. Durch die Überproduktion von Gelehrten (Gründung der Karlsuniversität) fanden diese immer weniger Betätigungsmöglichkeiten. Künstliche Eingriffe wie das Kuttenberger Dekret verschärften diese Situation noch. Ein weiteres wesentliches Moment war die Pestepidemie, von der die Böhmischen Länder zwar nur am Rande betroffen waren, die jedoch große Angst hervorrief und die Landwirtschaft erheblich beeinflusste. Das Ergebnis war eine allgemeine Unruhe in allen gesellschaftlichen Schichten.
Als wahrer Sprengstoff erwies sich die große Macht, der schwelgerische Reichtum und der Handel innerhalb der Kirche, die insbesondere in diesen schweren Zeiten als Provokation wahrgenommen wurden. Der theologisch-philosophische Streit zwischen der reformatorischen Lehre Wiclifs und der katholischen Standardlehre eskalierte nach und nach zu einem Streit zwischen dem charismatischen Prager Prediger Johannes Hus und den Getreuen des Papstes. Hus nahm die korrupte Kirche aufs Korn und predigte die Rückkehr zur Bescheidenheit und zu den Anfängen. Das Haupt der Kirche war für ihn Christus und nicht der Papst in Rom. Er kritisierte den Ablasshandel und setzte sich für die Darreichung des Abendmahls in Gestalt von Brot und Wein ein. Diese Punkte waren für die Kirche klare Ketzerei, wenngleich Hus auch lange die Gunst des Königs genoss. Dieser sagte sich aber schließlich von Hus los, der dann für seine Ansichten beim Konzil von Konstanz auf dem Scheiterhaufen starb.
Die Reaktion in Böhmen war jedoch genau das Gegenteil von dem, was die Würdenträger der Kirche beabsichtigt hatten. Hus wurde zum Märtyrer, und die zunächst vor allem unter den Städtern verbreiteten Gedanken des Hussitentums fanden nun auch im Volke breite Unterstützung, wobei diese eine sehr radikale Gestalt annahm. Der eigentliche Beginn der hussitischen Revolution war der Prager Fenstersturz, bei dem die von Jan Želivský angeführten Hussiten mehrere dem König treu ergebene Ratsherren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses stürzten. Eine Folge davon war der Tod König Wenzels IV.
Als dessen Bruder Sigismund als Nachfolger abgelehnt wurde und einen Kreuzzug gegen die Hussiten begann, radikalisierten sich die Hussitengemeinden, und es entstand die neue Fraktion der Taboriten. Zu dieser Fraktion gesellten sich zahlreiche Marodeure, Söldner und andere Elemente, und unter der eisernen Hand Jan Žižkas bildete sich aus dieser
Melange eine mächtige Truppe von ungeahnter Kampfkraft. Dieser gelang es im Jahr 1420, die vereinigten Heere der Kreuzzügler zuerst auf dem Veitsberg und später auch auf dem Vyšehrad zu besiegen. Žižka wurde danach für vier Jahre der härteste Führer der radikalen Hussiten. Im Jahr 1421 besiegte er den zweiten Kreuzzug und sah sich dann dem Druck der gemäßigten Hussiten und des katholischen Adels ausgesetzt. Žižka besiegte diese jedoch im Jahr 1424 in der Schlacht bei Maleschau und stärkte dadurch seine Position. Seine Gegner waren sehr erleichtert, als er im selben Jahr starb.
Nach seinem Tod kämpften die einzelnen Fraktionen um die Macht und schlossen sich nur bei Bedrohung von außen kurzzeitig zusammen. Im Jahr 1426 gelangte mit Andreas Prokop eine charismatische Führungspersönlichkeit an die Spitze, und diesem gelang es, die Fraktionen unter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen. Die Niederlage des dritten Kreuzzugs im Jahr 1426 bei Ústí nad Labem mündete in einer Zeit des Höhepunkts der Macht der Feldtruppen. Diese unternahmen danach auch Feldzüge in die Nachbarländer, wo sie die Gedanken der hussitischen Reformation verbreiteten und gleichzeitig durch Plünderungen die vom Krieg schwer gezeichneten Böhmischen Länder entlasteten. Nach der Niederlage des vierten Kreuzzugs im Jahr 1427 und des fünften im Jahr 1431 wurden die Hussiten zu Verhandlungen nach Basel eingeladen, da die Kirche und die europäischen Regenten nun einsahen, dass die Hussiten mit militärischen Mitteln von außen nicht zu bezwingen waren. Die Verhandlungen in Basel erwiesen sich als äußerst kompliziert und zogen sich bis ins Jahr 1433 hin, als es zu einer radikalen Spaltung zwischen den gemäßigten Kalixtinern (insbesondere Vertreter der Städte) und den radikalen hussitischen Feldtruppen kam. Beide Seiten hatten auch unterschiedliche Vorstellungen vom erwünschten Ausgang des Baseler Kompaktats.
Der Streit mündete in der mörderischen Schlacht bei Lipan im Jahr 1434, die mit der Niederlage der radikalen Hussiten und dem Tod Andreas Prokops endete. Die Feldtruppen verloren ihre Stellung als führende Kraft im Lande, so dass sich der Raum für eine gemäßigtere Lösung des Konflikts öffnete. Im Jahr 1436 erfolgte mit der Wahl Sigismunds zum König ein symbolischer Schlusspunkt der Episode der Hussitenkriege.
Die Folgen der hussitischen Reformation waren immens. Die ständige Anwesenheit der Feldtruppen in den Böhmischen Ländern kamen einer landwirtschaftlichen Katastrophe für nahezu ein ganzes Jahrhundert gleich. Die Schäden an Kircheneigentum und Denkmälern erreichten astronomische Höhen. Das gedankliche Erbe des Hussitentums war jedoch von gesamteuropäischer Bedeutung und bereitete den Weg für die späteren Reformationsströmungen im 16. Jahrhundert.