Jugendstil und Moderne
Kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts kam es in der europäischen Architektur zu einem Wandel, der alles Folgende grundlegend beeinflusste. Die Generation der jungen Architekten lehnte die historisierende Architektur als unwahr und überflüssig ab. Ihrer Ansicht nach brauchte die entstehende moderne Welt einen modernen Ausdruck auch in Kunst und Architektur, wobei dieser Ausdruck keinesfalls eine „blinde“ Nachahmung von Stilen der Vergangenheit sein konnte. In den Kunstzentren Europas entstanden Bewegungen, die unter verschiedenen Namen (L’Art nouveau, Jugendstil, Moderne) ihren Abschied von der erstarrten akademischen Vergangenheit erklärten und einen neuen künstlerischen Ausdruck boten, dessen konkrete Gestalt in den einzelnen Ländern jedoch sehr verschieden sein konnte.
Der erste Jugendstilbau in Prag war das Hotel Central in der Hybernská-Straße, das im Jahr 1898 vom Wiener Architekten Friedrich Ohmann erbaut wurde. Nach 1900 wurde der Jugendstil in Wohnbauten und öffentlichen Gebäuden heimisch,
wobei sein Ausdruck ein interessanter Spiegel unterschiedlicher europäischer Tendenzen ist. Im bürgerlichen Milieu wurde eine besondere Synthese von Pariser L’Art nouveau und heimischem Neobarock sehr populär, die beispielsweise im Gebäude "Obecní dvůr" der Architekten Osvald Polívka und Antonín Balšánek zu sehen ist. Gegensatz zu diesem „bürgerlichen“ Ausdruck war die „geometrische Moderne“ des Begründers der tschechischen modernen Architektur, Jan Kotěra, deren karge Formsprache und strenge tektonische Struktur zum Ausgangspunkt für eine ganze Generation tschechischer Architekten der Avantgarde (Peterkův dům, Mozarteum) wurde. Die meisten Prager Architekten dieser Zeit balancieren zwischen diesen beiden gedachten Polen. Ihr schöpferisches Potential wird dabei durch zahlreiche Bauten belegt, in denen die Formsprache des Jugendstils vielfach angewendet und variiert wurde (die Moldaubrücke Čechův most von Jan Koula oder auch das von Josef Fanta gestaltete Bahnhofsgebäude des Hauptbahnhofs).