Der Kubismus
Die kubistische Architektur ist der einzige originale Baustil, dessen Herkunft mit Sicherheit dem tschechischen künstlerischen Umfeld zugerechnet werden kann. Seinen Hauptvertretern - Pavel Janák, Josef Gočár, Josef Chochol oder auch Vlastislav Hofman - gelang es, die verwinkelten kubistischen Raumkompositionen von der Leinwand des Malers in die Sprache der Architektur zu übertragen, die sich dann überraschend gut in die einzigartige Sammlung der in Prag vertretenen Baustile einfügte. Obgleich nicht sehr viele Bauten realisiert wurden, war das Potential der kubistischen Architektur bewundernswert. Es gelang ihr auf ganz eigene Weise, Lösungen für so unterschiedliche Herausforderungen wie einem Neubau in historischem Kontext (Haus U Černé Matky Boží - Zur Schwarzen Madonna, Josef Gočár, 1912), einem Miets-Eckhaus (Josef Chochol, Mietshaus in der Neklanova-Straße, 1913-14), einer repräsentativen Villa (Josef Chochol, Villa unterhalb der Burg Vyšehrad, 1912-13) zu finden, aber auch für Details wie Straßenlaternen (Emil
Králíček und Matěj Blecha, Straßenlaterne auf dem Jungmann-Platz, 1912-13). Die kubistischen Prismenformen, die die Prager Architektur in den Jahren 1912-14 beherrschten, wurden nach dem I. Weltkrieg von der robusteren Formsprache des Rondokubismus abgelöst, die im europäischen Kontext der breiten Strömung des „Art deco“ zuzuordnen ist. Die wichtigsten Bauwerke dieser kurzen rondokubistischen Nachkriegsperiode sind Gočárs Legiobanka in der Straße Na Poříčí (1921-22) und das Palais Adria von Pavel Janák und Josef Zasch in der Jungmann-Straße (1922-25). Die ungewohnte Farbgestaltung in Weiß-Rot spiegelte auch die Suche nach einem „nationalen Baustil“ wider, der die soeben gegründete Tschechoslowakische Republick repräsentieren sollte. Typischer Ausdruck des kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwungs der Tschechoslowakei in der Zeit zwischen den Weltkriegen war aber schließlich nicht dieser besondere, etwas schwerfällige Baustil, sondern sein direkter Gegensatz - der elegante und schlichte Funktionalismus.