Die Erste Republik
Das Staatswesen der Ersten Republik entstand im Jahr 1918 auf den Trümmern Österreich-Ungarns Dank der Aktivität führender tschechischer Politiker, an deren Spitze der spätere Präsident Masaryk stand. Sie endete mit der Besetzung des Sudetenlandes im Jahr 1938 nach der erzwungenen Akzeptanz des von Präsident Beneš unterzeichneten Münchener Abkommens.
Die Gründung der unabhängigen Tschechoslowakei wurde vom Prager Nationalrat am 28. Oktober 1918 erklärt. Die Festlegung der Grenzen erfolgte erst im Jahr 1920 durch die tschechoslowakische Verfassung; erster Präsident war T.G. Masaryk. Bezüglich der Grenzen gab es insbesondere Gebietsstreitigkeiten mit Ungarn, danach auch mit Polen um das Gebiet Těšínsko und mit dem sowjetischen Russland um Karpatenrussland. Diese Streitigkeiten wurden von der tschechoslowakischen Armee beigelegt. Die Tschechoslowakei gehörte in den 20. Jahren zu den 10 stärksten Industrienationen der Welt. Der industrielle Kern lag überwiegend in den Böhmischen Ländern, während die Slowakei und Karpatenrussland nach wie vor landwirtschaftlich geprägt waren.
Die politische Lage der Tschechoslowakei stabilisierte sich allmählich, und praktisch während der gesamten Dauer der Ersten Republik waren die sog. Großen Fünf (Koalition fünf großer Parteien) an der Regierung. Ursprünglich waren nur Tschechoslowaken in der Regierung, seit 1926 durften jedoch auch Deutsche als Angehörige einer bedeutenden Minderheit Regierungsgewalt übernehmen. Die ungarische Minderheit schaffte es jedoch nicht in die Regierung. Präsident Masaryk wurde mehrfach bis zum Jahr 1935 wiedergewählt. Aus gesundheitlichen Gründen musste er dann abdanken und wurde von Präsident Beneš abgelöst.
Beneš war zuvor langjähriger Außenminister gewesen, so dass die Außenpolitik der Tschechoslowakei auf seinen Schultern lag. Beneš versuchte, ein System von Allianzen aufzubauen, die die Existenz der Tschechoslowakei angesichts eines größeren Aggressors sichern sollten. Im Jahr 1921 schloss er das sog. Kleine Abkommen mit Rumänien und Jugoslawien, das der Rückkehr der Habsburger und den Expansionsgelüsten Ungarns entgegentreten sollte. Er versuchte ebenfalls, Zugang zu
Großbritannien und Frankreich zu gewinnen, was ihm teilweise gelang und im Jahr 1924 zu einem Abkommen mit Frankreich führte. Das Abkommen von Locarno im Jahr 1925 führte zu einer erheblichen Stärkung der Position Deutschland in den Vereinten Nationen und machte die Verbindung mit Frankreich schwieriger. Während des erstarkenden Nationalsozialismus und nach Hitlers Machtergreifung versuchte Beneš auch, Hilfe in der Sowjetunion zu finden, der er bis dahin eher reserviert gegenüber gestanden hatte. Im Jahr 1935 wurde ein Abkommen abgeschlossen, nach dem auch Stalins Russland Hilfe leisten würde, sofern sich daran auch Frankreich beteilige. Im Augenblick der höchsten Not versagten jedoch alle Hoffnungen in die demokratischen Westmächte, und Beneš war gezwungen, das erniedrigende Münchener Abkommen zu unterzeichnen, mit dem die Tschechoslowakei im Grunde genommen aufgeteilt wurde. Mit der Besatzung des Sudetenlandes durch die Deutschen im September 1939 endet die Ära der Ersten Republik, und es beginnt die kurze Periode der Zweiten Republik, die bald mit der Gründung des Protektorats Böhmen und Mähren endet.
Die Zeit der Ersten Republik ist eng mit der Person von Präsident Masaryk verbunden, der im Bewusstsein des Volkes (teilweise zu Recht) idealisiert wird, so dass seine Gloriole teilweise auch auf die Zeit selbst fällt. Dabei muss aber gleichzeitig gesehen werden, dass es trotz zweifellos positiver Momente und großer Erfolge auch zahlreiche Probleme gab, deren gemeinsamer Nenner die ethnische Verschiedenheit der Tschechoslowakei war. Die Problematik der Minderheiten (Ungarn, Deutsche, Roma, Russen und Juden) wuchs sich dann zu einer realen Ursache der Instabilität aus, die ihren Höhepunkt in der Radikalisierung der zahlenmäßig stärksten deutschen Minderheit fand. Die eher kompromisslose Politik des Staates gegenüber der Vertretung von Minderheiten in Verwaltungs- und Regierungsfunktionen trug noch zur Eskalation des Problems bei. Die Verbindung dieser inneren Ursachen mit einem Aggressor von Außen (Hitlerdeutschland) und dem Desinteresse der Großmächte (Frankreich, England, Sowjetrussland) führten dann zum Ende der Ersten Republik.